Artensterben im Mund

09.07.2018 20:09

Gestern habe ich noch diesen interessanten Artikel "ausgegraben": www.heise.de/tp/features/Artensterben-im-menschlichen-Mund-3397848.html

Nach Genanalysen haben sich Bakteriengemeinschaften mit der Entwicklung der Landwirtschaft verändert, seit der industriellen Revolution haben die Karies verursachenden Bakterien die Vorherrschaft übernommen.

Im Grunde das, was Weston Price damals empirisch rausgefunden hat. Dass mit er Umstellung auf Industriekost, Karies bei den untersuchten Völkern enorm zunahm.

Bekannt ist, dass der Beginn des Verzehrs von Getreide (Weizen und Gerste) in der Jungsteinzeit vor 10.000 Jahren mit einer Zunahme des Zahnsteins und von Karies sowie Parodontitis, die beide durch Bakterien entstehen, einherging. Karies ist mittlerweile endemisch geworden, 60-90 Prozent der Kinder in den Industrieländern haben Karies, Parodontitis haben 5-20 Prozent der erwachsenen Menschen.

60-90% der Kinder.

Das ist eine ZERSTÖRUNG!

Karies zerstört ja den Zahn und damit einen Teil des Körpers. Der fault einfach weg. Und das schon im Kindesalter. Ich bin da jedesmal wieder erschrocken, wenn ich sowas lese. Der Artikel ist 5 Jahre alt und nichts hat sich getan. Ich finde das einen Skandal.

Aber gut, eine Gesellschaft, die ihre jungen Leute dazu ausbildet, die Jüngsten zu verführen und zu vergiften, hat keine Chance.

Nach der Erfindung der Landwirtschaft und der Sesshaftigkeit vor 10.000 Jahren hat sich nach genetischen Analyse der Wissenschaftler die Zusammensetzung der Bakterien in der Mundhöhle deutlich gegenüber derjenigen der Jäger-und-Sammler-Völker geändert. Durch mehr Stärke, also Kohlehydrate, in der Nahrung, scheint sich die Zusammensetzung der Bakterien in der Mundhöhle geändert zu haben. Während bei Jägern und Sammlern vorwiegend nicht pathogene Clostridia- und Ruminococcaceae-Bakterien im Mundraum lebten, zogen dann die Karies, vor allem Streptococcus mutans, und Parondontitis verursachenden Bakterien (Porphyromonas gingivalis sowie Tannerella- und Treponema-Bakterien) ein.

Daraus folgt ja sofort die Frage, ob man mit einer getreidefreien und stärkearmen, dafür aber wieder mehr fleischreicheren Jäger und -Sammlerkost diese Bakterien wieder etablieren kann. Sich die Bakterienflora also wieder in eine gesunde Richtung verändert. Dazu noch Wildkräuter und nicht zu überzüchtetes Obst. Das geht bestimmt und würde dann auch die Heilerfolge der Weston Price Ernährung erklären. Damit konnten ja viele ihre Karies stoppen. Wahrscheinlich auch, weil sich die Mundflora wieder normalisierte.

Die neue Mischung aus pathogenen und nicht pathogenen Bakterienstämmen ist das bis zu Mittelalter ziemlich konstant gewesen. Dann erst wurden, die Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit der Industriellen Revolution, die Karies verursachenden Bakterien dominant, breiteten sich wie Unkraut aus und verdrängten andere Bakterien, so dass die modernen oralen mikrobiotischen Ökosysteme im Mund deutlich weniger Diversität zeigen wie in den vorindustriellen Zeiten. Vor allem S. mutans kommt viel häufiger als früher vor. Die erneute Lebensmittelrevolution, bei der mit der Verarbeitung von Getreide und vor allem raffinierter Zucker aus Zuckerrüben und -rohr Mono- und Disaccharide entstehen, die von den Bakterien fermentiert werden. S. mutans gedeiht in einer zuckrigen Umgebung.

Also den ersten Niederschlag gab es schon mit der Umstellung auf Ackerbau- und Viehzucht, aber anscheinend hat das noch einigermaßen funktioniert. Mit der industriellen Revolution aber wurden die Zähne schach matt gesetzt, weil nur noch ungesundes Zeug konsumiert wurde.

Also wo genau ist eigentlich wirklich was besser geworden durch den ganzen Fortschritt?

Seit man die "primitive" Stufe der Jäger- und Sammler verlassen hat, sieht man eigentlich unglaubliche Entwicklungen, die man aber mit "Fortschritt" verklärt hat. Es kamen die Kriege in die Welt, Karies, Krebs, Umweltzerstörung, patriachal-gepanzerte Gesellschaften, Wüstenbildung und nun all die Probleme der Neuzeit, deren Aufzählung ich mir an dieser Stelle spare.

All der Fortschritt war einfach nicht umsonst! Er kostete etwas.

So wie heute jeder Wohlstand nicht umsonst ist! Auch der kostet etwas... und je mehr das Wirtschaftswachstum hochgedroschen wird, je reicher und wohlhabender und fortschrittlicher wir werden, desto mehr müssen wir dafür an anderer Stelle bezahlen. Das scheint mir eine Art Fluch zu sein.

"Ihr könnt alle reich werden, euch vermehren, euch entwickeln, eure Kulturen zu hochtechologisierte Hochkulturen entwickeln, aber das alles wird auch die Plagegeister stärken" - so kommt mir das mittlerweile vor.

Und es gibt kein Weg zurück!

Das ist ja das Problem.

Schicke gesunde Rohkostkinder, die bis zum Schulanfang auf einer Jäger, Sammler, Gärtnerkost groß wurden in die Schule und konfrontiere sie mit dem "Normalesser". Schon ist es aus. Entweder Ausgrenzung oder Anpassung an eine kranke Gesellschaft. Windige Kompromisse, ständiges Abwägen, Stress und Druck.

Maaz hat es richtig erkannt: die Gesellschaft muss sich ändern, damit es dauerhaften Erfolg hat. Ansonsten fallen viele, egal wo sie sich verändern, beim Essen, was Thema des Blogs ist, bei den Emotionen, im Verhalten usw. einfach wieder in die krankhaften Strukturen zurück oder werden, bei Kindern, von diesen vereinnahmt.

Die Wissenschaftler heben hervor, dass die Abnahme der bakteriellen Vielfalt darauf hinweist, "dass in wenigen Jahrhunderten der menschliche Mund ein Ökosystem geworden ist, das substanziell weniger Biodiversität aufweist". Da eine größere Diversität in der Natur generell mit einer höheren Stabilität verbunden ist, sei der moderne Mundraum gegenüber Störungen in Form von unausgewogener Ernährung weniger widerstandsfähig und eher anfällig für die Invasion von pathogenen Bakterien.

Na ja, also wo hat die Industriealisierung denn mal mehr Diversität hervorgebracht? In der Landwirtschaft nicht, bei den Kulturbiotopen nicht, im Darm nicht (da hatte ich ja auch schonmal drüber geschrieben, dass sich die Darmflora ebenfalls negativ verändert hat mit der Industrialisierung und die Diversität abnahm), bei den Agrarprodukten nicht, im Mund nun auch nicht....

Einzig bei den Bevölkerungen! Da hat die notwendige Arbeitsmigration die westlichen Bevölkerungen nun sehr viel diverser gemacht. Multikulti war ja da das Schlagwort. Das funktioniert aber auch nur, solange es genug Konsum und Wachstum gibt, ansonsten brechen die Verteilungskämpfe auf. Da haben es heterogene Bevölkerungen wahrscheinlich leichter.

Aber selbst diese Diversität entpuppt sich bei genauem Hinsehen eigentlich als Lüge, denn die Industrialisierung und damit der Kapitalismus / Marktwirtschaft haben im Endeffekt alle Kulturen unter das Joch des Konsums gezwungen. Ich hatte ja schonmal geschrieben, dass ich nirgends so viele FC Barcelona- und Bayern München-Trikots gesehen haben wie in Costa Ricas Hauptstadt San Jose. Nur mal als Beispiel, worauf ich hinaus will.

In einzelnen Ländern mag es den Anschein haben, dass sich die Diversität erhöht hat, aber weltweit ist die kulturelle Vielfalt immer mehr am abnehmen und wird durch eine globalisierte Konsumkultur ersetzt. Natürlich bleiben lokale und regionale Ausprägungen erhalten, aber wenn man mal genau hinschaut, herrscht weltweit der Konsum. 

Drastisch sagt Cooper: "Der moderne Mund existiert grundsätzlich in einem permanenten Zustand der Krankheit."

Klare Worte. Und deswegen verdienen sich Zahnärzte eine goldene Nase.

Und noch drastischer: "Der moderne Mund gleicht einer durch ein Herbizid verwüsteten Landschaft, in die invasives Unkraut in die freien Nischen eindringt." Sollte der Zusammenhang stimmen, dass die kulturellen Fortschritte durch die landwirtschaftliche und später die industrielle Revolution die Artenvielfalt zuerst verändert und dann minimiert haben, dann wäre der Mund ein Spiegelwelt dessen, was durch die Ausbreitung der Menschheit auf dem Planeten geschieht.

Wunderbar der Vergleich!

Und er zeigt eben, so wie ich es hier im Blog schon x-fach versucht habe, den Zusammenhang zwischen Ernährung und dem, wie es aussieht in der Welt.

Früher waren die Menschen Jäger und Sammler und lebten in einer unberührten Natur. Dann kamen Ackerbau und Viehzucht, was schon das Antlitz der Erde veränderte. Dann die Industriealisierung, die nochmal massive Veränderungen mit sich brachte. Und eben alles durch jeweils veränderte Ernährungsgewohnheiten!

Das war alles.

Und so wie extensive Landwirtschaft noch einigermaßen funktionierte, der Natur noch einigermaßen Raum gab und sogar artenreiche Kulturbiotope schaffte, aber eben schon keine "echte" Natur mehr war und schon mit Problemen zu kämpfen hatte (Überbevölkerung, Krieg, Krankheiten), so hat die Industrialisierung alles verarmt und die Probleme nochmal richtig verschärft.

Und nicht nur in der Umwelt, sondern spiegelbildlich auch im Mund.

Da sieht man mal, auf wievielen Ebenen sich Veränderungen ausdrücken können. Und wie das alles miteinander zusammenhängt.

Was kommt eigentlich als nächses? Die Digitalisierung!

Na da bin ich schon mal gespannt!! Dann wird alles virtuell...

Tja.. was passiert, wenn die Menschen irgendwann auf eine ausgewogene omnivore Rohkost umsteigen würden?

Da kann man jetzt nur spekulieren.

Bei mir hat es den Impuls ausgelöst, Gärtner zu werden. Ein Freund von mir Schäfer geworden und pflegt Naturschutzflächen, viele andere haben Gärten angelegt, wieder andere sind Biobauern geworden und Imker... also da scheint wirklich wieder eine Re-volution stattzufinden.

Zurück auf die Stufe der Jäger und Sammler ist unrealistisch, aber zurück zu einer extensiven Landwirtschaft, angepasst an die Bedürfnisse von Rohköstlern, wäre realistisch. Alleine das wäre schonmal ein guter Rückschritt! Fortschritt will ich gar nicht mehr... Welchen Sinn macht ein Fortschritt, der mit jeder Schritt dem Abgrund und Zusammenbruch näher kommt. Wer braucht sowas?

Essen verändert die Welt innen und außen.

Na ja, nun ist es sogar "amtlich"! :-)

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