In der Stadt

02.10.2014 21:11

Das Leben in der Stadt ist irgendwie eigenartig. Ich hab das Gefühl, als sei ich permanent "drinnen". Als ob ich den Zugang zu natürlichen Prozessen verloren habe. Klar bekommt man hier auch das Wetter mit, aber in der Stadt ist man abgeschnittener, abgeschirmter. Ich hab mein ganzes Leben bisher am Rand der jeweiligen Ortschaften gelebt. Hinterm Haus gab es immer gleich die Natur. Jetzt ist um mich herum Beton und ich verlasse manchmal tagelang diesen Ameisenhaufen nicht mehr. Wohnung, Arbeit, Sport, Einkaufen, alles ist "drinnen" möglich. Für mich als Landei eine interessante und zugleich beklemmende Erfahrung. Ich hab tasächlich das Gefühl, von etwas Elementarem abgetrennt zu sein. Manchmal gibt es hier so Brachen oder Plätze, wo "das Unkraut wächst", da bleibe ich dann machmal stehen oder gehe langsamer. Gleichzeitig fange ich an zu verstehen, wieso viele Bauern während meiner Zeit in Österreich so auf den Naturschutz geschimpft haben. Sie fühlten sich davon gegängelt und tatsächlich hat wohl der Stadtmensch, der ja aber zunehmend die demokratischen Prozesse bestimmt, weil immer mehr in der Stadt leben, einen ganz anderen Zugang zur Natur als jemand, der sich permanent damit rumschlagen muss...

Wenn man gleichzeitig bedenkt, dass die Verstädterung weltweit zunimmt, kann einem Angst und Bange werden. Ich persönlich glaube, dass viele dörfliche Gemeinschaften für die Gesundheit des Planeten besser sind als diese sich metastasengleich ausbreitenden Monopolen, die das Umland zu ihrer Versorgung aussaugen. Gleichzeitig werden viele Dörfer verlassen, so dass die bisherige extensive Nutzung, die ja oft zu einer Anstieg der Biodiversität führte, aufgegeben wird, um intensiveren Nutzungen, und damit einhergehendem Biodiversitätsverlust, Platz zu machen. Schon jetzt überlegt man im Naturschutz, wie man viele auf extensive Nutzung angewiesene Naturschutzgebiete langfristig halten kann, wenn die Bauern wegsterben und die Jungen Leute in die Städte wegziehen. Wilhelm Reich nannte die Erde ja bioenergetisch krank. Vor diesem Hintergrund mag die Verstädterung mit ihren Auswirkungen vielleicht sogar erklärbar sein und dazu beitragen. 

So wohne ich also jetzt in der Stadt und bin wieder vollkommen abhängig von andere Menschen. Das gibt mir ein ungutes Gefühl. Jemand hat mal den Spruch gepostet: "growing your own food is like printing your own money" - also sein Essen selber zu ziehen ist wie sein eigenes Geld drucken. Und da ist etwas Wahres dran. Man wird zumindest teilweise unabhängig und kommt in einen sehr engen Kontakt zu Natur. Von der Hand in den Mund, nicht durch viele Hände in den Laden....

Man bekommt dann auch einen dörflichen Blick auf die Natur. Weniger Bambi-verklärt. Härter, klarer, echter. Wenn der Stadtpark oder der Naherholungssee der einzige Kontakt zur Natur sind, wird es schwierig, sich einen klaren Blick zu bewahren. In Deutschland mag es vielleicht sogar noch gehen, aber wenn man sich die Megapolen dieser Welt anschaut... wobei, einmal hatten wir einen Freund aus der Rhein-Ruhr-Metropole zu Besuch. Als wir dann nachts über Land fuhren, war der immens erstaunt, wie dunkel es doch ist!

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Heute hab ich endlich mal wieder Wildschwein gekauft. Die Qualität ist 1a. Teuer, aber wirklich gut. Ich hab in letzter Zeit ja fast vollständig von Gemüse gelebt. Dazu einige Haselnüsse, Sonnenblumenkerne und Sesam, die ich mir an den Salat, der ironischeriwese nie echten "Salat" beinhaltete, gemacht habe. Die Verdauung war erstklassig, das Körpergefühl auch. Wenn nur diese unglaubliche Plastikverpackung nicht währe! Aber gestern war diese Phase irgendwie zuende und ich hatte Lust auf Wildschwein. Und heute gabs auch welches auf dem Markt. Wenn man dem Körper das gibt, was er braucht, dann ist man auch zufrieden und man verliert die Lust am Missionieren. Oft sehe ich auf Facebook die veganen Diskussionen und Postings aus dieser Richtung. Plötzlich hab ich wirklich verstanden, was es heisst: "Die, die die größten Widerstände haben, brauchen es am dringensten". Für mich ist es Energieverschwendung, mich GEGEN etwas zu werfen. Wenn ich etwas Scheisse finde, unterstütze ich die Leute, die meiner Meinung nach in die richtige Richtung gehen. Wenn ich also gegen Massentierhaltung bin, und das bin ich, so bringt es aus meiner Sicht wenig, dagegen anzuwettern. Klar, Aufklärung tut Not, aber aus meiner Sicht ist es dann besser, seine Kohle dem Jäger zu geben oder dem Biobauern, oder es selber anzubauen oder aufzuziehen. Der einzig wahre Wahlzettel, den man hat, ist die Geldnote in meiner Brieftasche. Damit gestalte ich die Welt. Und so wie die Welt aussieht ist das Abbild der täglichen millionen, ja milliardenfachen Wahlentscheidungen an den jeweiligen Kassen. Alle vier Jahre die Stimme abzugeben mag lustig sein, aber die wahre Wählerkraft ist die Wahl der Produkte, die ich kaufe. Oder nicht kaufe... 

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