Ergänzung A. ramidus und genetische Anpassung an Früchte

01.12.2018 13:39

Ich habe gestern abend, eigentlich schon in der Nacht, noch mit einem befreundeteten Rohköstler aus Wien, der sehr gut wissenschaftlich ausgebildet ist und auch aus der "Instincto-Ecke" kommt, über das Thema genetische Anpassung gesprochen und wir haben uns dann sogar mal das Originalpaper angeschaut und tatsächlich: Wikipedia hat nicht geschwindelt.

Es ist spannend aus zwei Gründen, die hier schon genannt wurden:

1. Die oberen Eckzähne sind mehr oder weniger "verweiblicht", so wie es auch bei den Menschen und bei den Bonobos ist. Bei den meisten Affen gibt es recht lange obere Eckzähne, zumeist bei den Männchen, die vor allem zum Drohen, zum Kämpfen oder zur Abwehr von Feinden benutzt werden.

Ardipithecus ramidus hat das so nicht, sondern das Gebiß ist mehr wie die Bonobos gestaltet.

In modern monkeys and apes, the upper canine is important in male agonistic behavior, so its subdued shape in early hominids andAr. ramidus suggests that sexual selection played a primary role in canine reduction. Thus, fundamental reproductive and social behavioral changes probably occurred in hominids long before they had enlarged brains and began to use stone tools.

[Quelle: Suwa, G., Kono, R. T., Simpson, S. W., Asfaw, B., Lovejoy, C. O., & White, T. D. (2009). Paleobiological Implications of the Ardipithecus ramidus Dentition. Science, 326(5949), 69–69, 94–99.]

Also ich bin da regelrecht "elektrifiziert", weil es eben sein kann, dass wir von "liebende (?)" Affen abstammen, die sich wahrscheinlich auch wie die Bonobos benahmen.

Innerartliche Konkurrenz (Drohen, Kämpfen, Revierkämpfe), wie sie bei den großen Menschenaffen beobachtet wird, zumeist auch mit entsprechenden Drohgebärden durch zeigen der Eckzähne, war bei A.ramidus vielleicht schon deutlich reduziert und man benahm sich wie die Bonobos. Vielleicht nicht genauso, aber frühe Formen der alternativen Konfliktbewältigung scheinen hier durchaus möglich und nicht nur rein spekulativ.

Das geht hin bis zu Überlegungen zu matriachalen Sozialstrukturen, wie wir sie auch bei den Bonobos finden und noch vereinzelt bei bestimmten Volksgruppen finden.

Der Mensch hätte, würde man ihn lassen und würde er innere Blockaden, Panzerungen und moralisierende religiöse Überzeugungen abbauen können, wahrscheinlich ein viel weiteres und tieferes Liebes- und Sexualleben und würde dadurch sehr viel weniger zu Gewalt und Aggressionen neigen und man würde Frauen auch nie unterdrücken, sondern sie hätten, wie bei den Jäger- und Sammlerkulturen, eine gleichberechtigte oder sogar leicht höhere Stellung als der Mann.

Ursprüngliche Völker wie die Trobriander und "ungepanzerte Völker" wie die nördlichen Stämme der Inuits zeig(t)en, wie so eine Gesellschaft aussieht / aussah.

Aber kommen wir nochmal genau zum Thema Zähne, Früchte und Rohkost:

Thick enamel suggests that an animal’s food intake was abrasive; for example, from terrestrial feeding. Thin enamel is consistent with a diet of softer and less abrasive foods, such as arboreal ripe fruits. We measured the enamel properties of more than 30 Ar. ramidus teeth. Its molar enamel is intermediate in thickness between that of chimpanzees and Australopithecus or Homo. Chimpanzees have thin enamel at the chewing surface of their molars, whereas a broad concave basin flanked by spiky cusps facilitates crushing fruits and shredding leaves. Ar. ramidus does not share this pattern, implying a diet different from that of chimpanzees. Lack of thick enamel indicates that Ar. ramidus was not as adapted to heavy chewing and/or eating abrasive foods as were later Australopithecus or even Homo.

The combined evidence from the isotopic content of the enamel, dental wear, and molar structure indicates that the earliest hominid diet was one of generalized omnivory and frugivory and therefore differed from that of Australopithecus and living African apes.

Übersetzung:

Dicker Zahnschmelz legt nahe, dass die Nahrungsaufnahme eines Tieres abrasiv (abreibend) war. Zum Beispiel von der terrestrischen Ernährung. Dünner Zahnschmelz ist vereinbar (geht damit einger) mit eine Diät aus weicheren und weniger abrasiven Lebensmitteln, wie reifen Früchten. Wir haben die Zahnschmelzeigenschaften von mehr als 30 Ar. Ramidus Zähne untersucht. Sein molarer Schmelz hat eine mittlere Dicke zwischen Schimpansen und Australopithecus oder Homo.

Schimpansen haben einen dünnen Schmelz an der Kaufläche ihrer Molaren, während ein breite konkave Basis, die von spitzen Höckern flankiert wird, das Zerdrücken von Früchten und das Zerreißen von Blätter erleichtert.

A. ramidus teilt dieses Muster nicht, das impliziert eine Diät, die sich von der der Schimpansen unterscheidet. Mangel an dickem Zahnschmelz sagt das Ar. ramidus nicht so an starkes Kauen und / oder dem Fressen abreibender Nahrung angepasst war, wie später Australopithecus oder auch Homo.

Der kombinierte Beweis aus dem Isotopengehalt des Schmelzes, der Zahnabnutzung und der molare Struktur zeigt an, dass die früheste hominiden Diät eine verallgemeinerte Omnivorie und Frugivorie war und sich daher von der von Australopithecus und der heute lebenden afrikanischen Affen unterscheidet.

Anmerkung: durch die ganze Evolutionsgeschichte hindurch finden wir ausgehend von A.ramidus bis zu den Arten der Gattung Homo (dazu kommen dann in Teil 4) KEINE Zahnschmelzdicke, wie sie für überwiegende Fruchtfresser typisch ist. Im Gegenteil. Ausgehend von A.ramidus wurde der Zahnschmelz sogar noch dicker.

Daraus muss man zwingend logisch schlussfolgern, dass wir seit mind. 6. Millionen Jahren an keinen hohen Früchtekonsum GENETISCH ANGEPASST SIND.

Anders als die Schimpansen und Bonobos, deren Gebiss an den Verzehr reifer Früchte angepasst ist, bzw. sich daran angepasst hat:

R. ramidus lacks the thin occlusal fovea enamel of Pan and in this regard is similar to both Australopithecus and Miocene forms such as Dryopithecus (Fig. 4). The Pan condition is most likely derived, probably associated with an increased reliance on highercanopy ripe fruit feeding.

Übersetzung: R. ramidus fehlt der dünne Occlusal Fovea Zahnschmelz der Schimpansen (Pan). Der Zustand (der Zähne der Gattung Pan, wozu Schimpansen und Bonobos gehören) ist höchstwahrscheinlich davon abgeleitet / hat sich daraus entwickelt, wahrscheinlich aufgrund einer erhöhten Abhängigkeit (Verfügbarkeit?) von reife Früchte im Kronendach der Bäume als Ernährung. 

Also hier brechen gerade Weltbilder zusammen und der ein oder andere "Abweichler" wird in seiner skeptischen Haltung zu den Früchten bestätigt.

A. ramidus hat natürlich auch Früchte gefressen, aber, so die Daten, wahrscheinlich sehr viel weniger (und vllt. mehr saisonal?) als heutige Schimpansen und Bonobos. Und alle danach kommenden Entwicklungsstufen von Australopithecus bis zu den Arten der Gattung Homo (wir: Homo sapiens sapiens) entwickelten sogar noch dickere Zahnschmelze.

Problem: wir können wenig Rückschlüsse aus dem Zahnschmelz der Menschen heute ziehen, da das Kochen die Nahrung seit 10.000 Jahren weich macht und wir nicht wissen, was da jetzt wirklich natürlich ist. Es kann durchaus sein, dass das Kochen wieder zu dünneren Zahnschmelz führte. Hier muss ich mal schauen, ob es da Unterschiede zwischen den Menschengruppen gibt (Aborigenies, Hazda, moderner Industriemensch). Wenn da jemand Daten hat: nur zu!!

Also A.ramidus hat echt einiges in Petto.

Ernährung - für uns als Rohköstler wichtig.

Sozialstruktur - für uns als Menschen wichtig.

Bewegung - für das Verständnis der Evolution interessant.

Und hier sind sie:

 Quelle: Dr. Alice Roberts: "Die Anfänge der Menschheit".

Sehen etwas aus wie Bonobos in einer savannenartigen Trockenwaldlandschaft.

Weiter:

Conclusions. Multiple lines of morphological evidence suggest that Ar. ramidus was a generalized omnivore and frugivore that did not rely heavily on either ripe fruits (as in Pan or Pongo), fibrous plant foods (as in Gorilla), or hard and tough food items (as in Pongo or Australopithecus).

Übersetzung: Mehrere morphologische Beweislinien legen nahe, dass A.ramidus ein generalistischer Omnivore und Frugivore war, der nicht so abhängig vom Vorhandensein reifer Früchte war wie Schimpansen/Bonobos und Orang-Utans, fasrigem Pflanzen wie Gorillas oder harten und zähen Nahrungsmittel wie die Orang-Utan und Australopithecus.

Der war weiter als viele Rohköstler heute, deren Existenz ebenfalls schwer von dem Vorhandensein reifer Früchte abhängt! :-D

Weiter: A. ramidus also lacked adaptations to abrasive feeding environments (unlike Australopithecus).

These inferences are corroborated by the isotopic analysis of enamel, which indicates that Ar. ramidus predominantly consumed (~85 to 90%) C3 plant sources in woodland habitats and small patches of forest (50), thus differing from both savanna woodland-dwelling chimpanzees (>90% C3) and Australopithecus spp. (>30% C4)(51).

A.Ramidus zeigt also keine Anpassung an eine abrasive Kost, anders als Australopithecus.

Die Untersuchungen zeigen, dass A. ramidus mehrheitlich C3 Pflanzen im Waldlandhabitaten und kleinen Flecken von Wald  fraß und dass das sich unterscheidet von waldlebenden Schimpansen und den Arten von Australopithecus.

Conversely, extant Pan and Gorilla, each withits distinctive dental morphology, are best considered derived in their dietary and dental adaptations. This is consistent with the Ar. ramidus postcranial evidence and its interpretations (11,23) and strengthens the hypothesis that dental and locomotor specializations evolved independently in each extant great ape genus. This implies that considerable adaptive novelty was necessary to escape extinction in the Late Miocene forest and woodland environments.

Zusammengefasst: Umgekehrt werden Schimpansen und Gorillas, jeder mit unterschiedlichen Zahnmorphologie, am Besten als Folge der Entwicklung in ihrer Diät und der Anpassung der Zähne betrachtet.

Stärkung der Hypothese, dass sich Zähne und der entsprechende Bewegungsapparat unabhängig in jeder noch lebenden Gattung der großen Affe entwickelt haben.

Das impliziert, dass bemerkenswerte adaptive Neuerungen notwendig waren, um dem Aussterben in der späten Miozän-Waldumwelt zu entgehen.

Also wie schon geschrieben: unsere Vorfahren, so nimmt man an, sahen nicht aus, bewegten sich nicht und fraßen nicht so wie die heutigen Schimpansen und Bonobos, sondern diese haben sich erst später so entwickelt.

These analyses also inform the social behavior of Ar. ramidus and its ancestors. The dental evidence leads to the hypothesis that the last common ancestors of African apes and hominids were characterized by relatively low levels of canine, postcanine, and body size dimorphism.

These were probably the anatomical correlates of comparatively weak amounts of male-male competition, perhaps associated with male philopatry and a tendency for male-female codominance as seen in P. paniscus and ateline species (52,53). From this ancestral condition, we hypothesize that the P. troglodytes lineage secondarily enhanced its canine weaponry in both sexes, whereas a general size reduction of the dentition and cranium (25) occurred in the P. paniscus lineage.

This suggests that the excessively aggressive intermale and intergroup behavior seen in modern P. troglodytes is unique to that lineage and that this derived condition compromises the living chimpanzee as a behavioral model for the ancestral hominid condition. The same may be the case with Gorilla, whose social system may be a part of an adaptation involving large body size, a specialized diet, and marked sexual dimorphism.

In the hominid precursors of Ar. ramidus, the predominant and cardinal evolutionary innovations of the dentition were reduction of male canine size and minimization of its visual prominence. The Ar. ramidus dental evidence suggests that this occurred as a consequence of selection for a less projecting and threatening male upper canine. The fossils now available suggest that male caninereduction was well underway by 6 million years ago and continued into the Pliocene.

Further fossils will illuminate the tempo and mode of evolution before 6 million years ago

Ich fasse mal zusammen: A.ramidus war damals mehr wie die Bonobos heute und man vermutet, dass sich die großen Eckzähne der Gorillas und Schimpansen erst später entwickelten. Auch vermutet man eine eher männliche Philopatrie, also eine "Brutorttreue" und eher eine männlich-weibliche Codominanz.

Bei A.ramidus geht man von geringerer innerartlicher Aggressivität zwischen männlichen Individuen aus als bei den heutigen Schimpansen und Gorillas. Die sieht man als einzigartig in der Linie der Entwicklung an und es durchkreuzt die Annahme, dass man das heutige Verhalten der Schimpansen auf unsere Vorfahren übertragen kann. Selbiges gilt für die Gorillas.

Also auch A. ramidus war schon ein Nachfahre von Arten, in denen die innerartliche Aggressivität zunehmend verringert wurde und in dessen Folge sich eben die bedrohlichen Eckzähne in ihrer Größe verringerten.

Weitere Fossilien werden dann noch mehr Licht ins dunkel bringen und zeigen, wie und mit welchem Tempo die Evolution vor 6 Millionen Jahren ablief.

So, wieder etwas mehr Klarheit! 

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