Als ob es bei uns anders ist

02.06.2018 22:02

Wir zeigen mal wieder mit dem moralischen Zeigefinger auf andere:

www.heise.de/tp/features/Indien-Tote-fuer-mehr-Wirtschaftswachstum-4060325.html

Um was gehts?

12 erschossene Demonstranten bei Protesten gegen Umweltverschmutzungen im südindischen Bundestaat Tamil Nadu zeigen, was Indiens Mächtige antreibt: Wirtschaftswachstum um jeden Preis.

Der Text ist recht interessant und wirft einen Blick auf die Zustände in Indien.

Um den Grund für die Auswanderung zu verstehen, reicht ein Blick in den Dunst über der Hauptstadt Delhi: Im Herbst und Winter herrschen Feinstaubwerte bis zu 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Gemessen werden dabei Partikel der Größe PM 2,5, die nicht größer als 2,5 Mikrometer im Durchmesser sind. Der Grenzwert der WHO liegt bei 10 Mikrogramm. Selbst im Sommer, bei geringen Feinstaubwerten, bestehen Gesundheitsgefahren. Die Partikel sind dann durch die erhöhte UV-Strahlung so klein, dass nicht einmal mehr die Lungen- und Nasenhaare den größten Teil der Partikel wegfiltern können.

Jedes Jahr sterben etwa 2,5 Millionen Menschen in Indien an der Folgen von Luftverschmutzung - dazu sind alle großen indischen Flüsse schwer belastet, viele gelten als biologisch tot. Das sind die "Kleinigkeiten", mit denen Zeitungsleser der Wirtschaftsseiten (wie etwa des "Aktienchecks") nicht belästigt werden. Dort wird den Lesern euphorisch gerufen: Enormes Wachstumspotenzial in Indien!

In Anbetracht all dessen überraschen die Schlussfolgerungen nicht, die die Verantwortlichen des Vedanta-Konzerns aus den Vorfällen um die 12 Toten Demonstranten in Thoothukudi gezogen haben: Sie haben angekündigt, die Produktion der Sterlite-Kupferschmelze zu verdoppeln.

Wachstum um jeden Preis. Hier haben wir dieses Jahr 50% Ernteausfall beim Weizen Nun hält sich mein Bedauern bei solchen "Grundnahrungsmitteln" eher in Grenzen, aber es ist eben ein Symptom, dass hier etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Aber die ganzen Wirtschaftsfuzzis haben keine andere Idee mehr, außer Wachstum, Wachstum, Wachstum. Das hat sich da so eingeschliffen...

Ich sehe das im Grunde so: neue Ideen, Weiterentwicklung, Wachstum an sich sind ja nicht schlecht! Ich will auch nicht mehr leben wie 1725. Aber man muss doch irgendwann mal merken, dass es absolut keinen Sinn macht, wenn man dabei das Gute und Wertvolle, wie eben Boden, Wasser, Klima und Luft versaut. Was ist das denn für eine Weiterentwicklung? Das sind ja dann eher Rückschritte!

Mir ist den Tag noch so ein Gedanke gekommen: wieviel kann man eigentlich mit Konsum zukleben?

Ich glaube wirklich, dass die Menschen schon lange angesichts der Zustände auf der Straße wären, wenn man das latente Unwohlsein nicht ständig mit Konsum beruhigen könnte. Was ist, wenn es irgendwann keine Möglichkeit mehr gibt, seine unguten Gefühle mit Konsum zu beruhigen?

Betrifft ja den Rohköstler, der aus der Kochkost kommt, genauso. Da funktioniert das "wegessen" ja auch nicht mehr so gut. Das deckeln, dass dämpfen (!!!) der Emotionen und Gefühle.

Das ganze System fusst auf Konsum. Im Grunde fusst die ganze Natur auf Konsum. Einer frisst den anderen. Produktion und Konsumtion als ewiger Kreislauf. Nur hält es sich hier die Waage, bildet eine natürliche Harmonie, pendelt sich so ein, dass alles in einer wundervoll eingerichteten Ordnung erscheint.

Ist der Mensch wirklich nur auf der Welt, um Konsument zu sein? Um zu konsumieren, zu kaufen, zu produzieren, zu fressen, zu saufen, zu shoppen?

Auch der Mensch hat immer auch aus dieser Natur heraus konsumiert. Erst als Jäger und Sammler. Später als Fischer, Ackerbauer und Viehzüchter. Aber auf all diesen Stufen der Entwicklung (oder Verwicklung? Verwickeln wir uns immer mehr in etwas?) war der Konsum nicht das Wichtigste. Klar, essen und trinken hat schon immer Spaß gemacht, aber es war nie das Wichtigste, das Sinngebende. Alleine wenn ich an meine Großeltern denke, zwei Generationen zurück, schon da gab es ganz andere sinnstiftende Inhalte.

Ich frage mich gerade, ob dieses Wirtschaftssystem die Menschen nicht regelrecht entwürdigt und degradiert.

Wenn es nur noch darum geht, mehr Wachstum zu generieren, egal was es kostet, dann ist da die Grenze zum Krankhaften überschritten.

Aber wahrscheinlich ist es eben auch so leicht, da abzurutschen, weil es keine wirklichen Grenzen gíbt.

Hat was von Händewaschen. Es gibt ein gesundes Maß, sich die Hände zu waschen. Wäschst man sich zu wenig, kann man sich und andere mit irgendwas infizieren. Gerade wenn man in entsprechenden Umgebungen arbeitet. Als Arzt oder wo auch immer man mit sowas zu tun hat. Oder auch, wenn man gerade Schweine ausgemistet hat, da macht es auch Sinn, sich mal die Hände zu waschen, dito nach dem Arschabwischen. lol

So ein Verhalten ist also durchaus gesund und gewinnbringend und bringt einen Vorteil zum gänzlichen Verzicht.

Dito Handel und Wandel. Das ist bis zu einem gewissen Punkt gewinnbringend und hat enorme Vorteile. Deswegen wurde es ja schon immer gemacht. Und über den Handel und den Tausch gab es dann auch die menschlichen Kontakte, den Austausch, die Begegnung.

Aber wo ist dann die Grenze zum Krankhaften? Es gibt ja Menschen, die unter einem Waschzwang leiden. Wo also etwas krankhafte Ausprägungen bekommt. Wo es ein Zwang wird, der wohl aus einer Angst geboren ist, die wiederum entsteht, weil man das Gefühl hat, man hat einfach nicht alle Informationen, um etwas richtig bewerten und einschätzen zu können. Beim Waschzwang fehlt eben schlussendlich die Information, ob man da (die eingebildeten und unsichtbaren) Bakterien auf der Hand hat und was die Ausrichten können.

Angst verschwindet sofort, wenn man alle Infos hat, die es braucht, um etwas zu bewerten und einordnen zu können. Hat man nicht alle Infos, oder hat man das Gefühl, nicht alle Infos zu haben, entsteht Angst. Wenn man also wüsste, was da sitzt, wenn man es sehen würde und wenn man wüsste, was die potentiell anrichten können und wenn man auch noch wüsste, wie das Immunsystem damit umgeht, dann würde man erkennen, dass man keine Sorge haben brächte und schon verschwindet die Angst und weicht eher einer interessierten Neugierde.

Wo also entsteht dieser krankhafte Wachstums- und somit Konsumzwang?

Und spielen die Medien da eine Rolle?

Mir wird gerade bewusst, dass Konsumzwang und Angst wahrscheinlich eng zusammengehören. Gerald Hüther sagte einmal: Wer glücklich ist, konsumiert nicht.

Wenn ich mich recht erinnere, dann ist Angst etwas, was seit mindestens 70 Jahren permanent über unseren Köpfen schwebt und von den Medien immer wieder, tagein, tagaus, unters Volk gebracht wird. Erst der kalte Krieg mit der permanenten Bedrohung eines nuklearen Infernos, dann Krankheiten wie AIDS und Ebola, Schweinegrippe und SARS, dann Angst vor dem Sozialen Abstieg, jetzt Angst vor Terroristen.

Wenn man sich die Zentren des Kapitalismus anschaut, dann sind es die Gebiete, wo man die meisten Medien findet und wo die meiste Angst verbreitet wird... und zwar als Dauerbeschallung.

Die Rente reicht nicht. Krebs kann jeder kriegen. Männer ab 40 - Herzinfarktriskio. Der Russe steht wieder vor der Tür. Arbeitslosigkeit und dann Hartz4. Gifte im Wasser. Resistente Bakterien in Seen und Flüssen. Migration aus archaischen Kulturen. Messerstechereien. Terrorismus. Der Chinese will alles beherrschen ... usw usw...

Tagein, tagaus wird Angst verbreitet.

Im TV laufen permanent Krimis. Mord, Totschlag, finstere Musik. 

Ich frage mich gerade, ob das eine Art Peitsche ist, um die Menschen ewig zum Konsumieren anzuhalten? Ist es quasi absolut notwendig, dass Gesellschaften, die ein System etablieren, welches auf permanent steigenden Konsum basiert, auch eine Art Angstpeitsche benötigen, um die Menschen über für mich noch nicht ganz klare Mechanismen zum ständigen Konsumieren anzuhalten?

Zerstörung der natürlichen Dopaminausschüttung vielleicht. Ständige Angst = verminderte Dopaminausschüttung = Bedarf nach Glücksgefühlen = Shoppen? Dann kurzer Dopaminkick, dann wieder Angst, Kreislauf beginnt von vorne?

Was wenn es viel weniger Medieninhalte gäbe, die Angst machen? Würde dann auch der Konsum langfristig zurückgehen?

Wenn ja, dann erschafft sich das System natürlich seinen eigenen Niedergang und wäre quasi gezwungen, wieder neu Angst zu verbreiten, um sich selber zu erhalten.

Kommt es also zu diesem krankhaften Shoppingzwang (manche Menschen haben Häuser mit acht Badezimmern, manche haben Schränke voller Klamotten, dutzende Paar Schuhe, 30% und mehr sind übergewichtig, konsumieren also weit mehr, als dass sie benötigen, manche sitzen Stunden vor dem Fernseher und konsumieren diesen Kram usw usw...), weil das permanente Angstmachen langfristig zu mehr Konsum führt?

Was für herrliche Forschungsmöglichkeiten!

Ha!

Gerade mal gedacht, ok, vielleicht hat da schon wer geforscht... und siehe da: www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.die-wichtigsten-trends-warum-angst-den-konsum-antreibt.6b2cf686-a90f-4c1a-839b-e87ea0f2f805.html

Angst treibt also den Konsum tatsächlich an. Zumindest teilweise.

Na ja, dann wäre natürlich die Frage, ob dann eine Gesellschaft, die vollumfänglich vom reibungslosen Verlauf der Megamaschine abhängt, nicht auch dauernd etwas erschafft, wovor man wirklich auch Angst haben sollte?!

Ich habe für mich erkannt, dass viele "Verschwörungstheorien" sich im Grunde aus dem System heraus erklären lassen. Einfach wenn man sich die Frage stellt, was alles zu mehr Wachstum führt. Und wenn auch die Angst zu mehr Wachstum führt, dann braucht es keine dunklen Mächte, die uns Angst machen, weil wir so besser kontrollierbar sind, sondern wir selbst erzeugen immer wieder diese Angst, eben weil jeder mittlerweile vom reibungslosen Funktionieren der Megamaschine abhängt. Stottert die irgendwo, gibt es Massenarbeitslosigkeit. Und Konsum treibt diese Maschine an und wenn die Angst zu mehr Konsum führt, tja, dann brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn permanent Angst verbreitet und schlimmer noch, permanent auch Situationen erschaffen werden, die tatsächlich beängstigend sind.

Wilhelm Reich erkannte, dass die Menschen auch der Motor der Entwicklung sind.

Kalter Krieg damals, Ozonloch in den 80ern, AIDS in den 90ern, Klimawandel, nukleare Bedrohung, multiresistente Bakterien usw heute ...

Das ist irgendwie ein Teufelskreis: der Zwang zum Wachstum erschafft riesige Probleme und Verwerfungen, die dann wieder dazu dienen, Ängste zu schüren, die dann wieder den Kosnum antreiben, was zu noch größeren Problemen führt.

Ich halte den Kapitalismus ja mittlerweile für maximal zerstörerisch.

Das geht richtig tief rein.

Früher sind wir als Kinder alleine in Wald und Wiese groß geworden, heute dürfen die Kids nicht mal mehr alleine auf den Spielplatz im Dorf, jemand könnte sie ja wegfangen. Woher haben die alle solche Ideen? Wann ist denn hier mal sowas passiert? Das kommt alles aus den Medien.

Und statt Wald, Wiese und Fussballplatz (da könnten ja Zecken lauern) gibt es dann halt ab und an eine Shoppingtour, um wenigstens so den genetisch programmierten notwendigen Dopaminkick zu bekommen.

Also die Angst hat sich da so tief in die Gesellschaft reingefressen, dass sie schon zerstörerisch wird. Angst per se ist nicht besonders schlimm. Hilft beim Überleben. Aber auch hier: es wird langsam krankhaft.

Aber solange es eben konsumfördernd ist, wird es eben bis ins Groteske weitergetrieben.

Weil ALLE abhängig davon sind, dass die Maschine weiter läuft.

Für mich sind solche Blogbeiträge schon fast eine Läuterung, weil ich dann weiß, dass alles noch Schlimmer kommen muss, bevor es wieder besser wird.

Und das ist das Positive an der ganzen Sache!

:-D

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