Westdeutscher Narzissmus und eine ostdeutsche Oma

27.01.2018 19:17

Gestern sind mir zwei Sachen passiert, die ich für symptomatisch halte und die zeigen, wohin die Reise geht:

Als erstes gab es einen Blick in die Vergangenheit, wenn man so will. Ich war gestern 10km laufen. Noch nicht rennen, aber schon straff gehen mit abschnittsweise Dauerlauf. Ich laufe dazu immer über Eck quasi ins Nachbardorf. Und dort traf ich durch Zufall eine ältere Frau und wir sind ins Gespräch gekommen und einige hundert Meter gemeinsam gegangen.

Diese Frau war 1945 als Flüchtling aus dem Sudetenland nach Mitteldeutschland gekommen. Mit ihren 87 Jahren hat sie auch schon eine ziemliche Lebenserfahrung und sie meinte auch, dass es früher besser war als heute und dass vor allem der Zusammenhalt und die Solidarität abgenommen hat. Bis zur Wende war es hier absolut normal, dass sich Nachbarn gegenseitig halfen, es gab einen enormen Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe. Ihre jetzigen Nachbarn haben als erstes mal ein großes Tor eingebaut und bis auf den gelegentlichen Gruß hat man nichts mehr miteinander zu schaffen. Kann ich bestätigen. Ich habe selber als Kind noch mitgeholfen, wenn die Nachbarn meiner Großeltern Tabak machten oder war dabei, wenn die zu uns kamen, Stroh auf den Boden zu schaffen.

Heute gehen die Jugendlichen hier im Dorf an einen vorbei, sagen nicht Mu und nicht Maff und sogar ein "Tach!" ist zuviel.

Sie hat mir dann auch von ihren Enkeln erzählt. Zwei Jungs. Der eine war Lehrer. Irgendwo "im Westen" und der andere Drucker. Auch irgendwo da. Anscheinend ist der Arbeitsdruck aber so groß, dass der Lehrer sich nach der Schule jeden Tag erstmal hinlegen muss, so KO ist der. Die Klassen sind zu groß, die Schüler zu undiszipliniert. Der verbraucht anscheinend die ganze Energie, um da erstmal für Ordnung zu sorgen. Der andere wiederum kann nicht mehr schlafen, weil er sich immer schon Gedanken macht, was er zu tun hat auf der Arbeit. Klassisches Zeichen von beginnendem Burn-Out.

www.der-wegberater.de/im-fokus/burn-out/burn-out-krankheitsphasen/

(Ich war Ende 2012 teilweise bei Stufe 10 bis 11 und hab ein ganzes Jahr gebraucht, um mich davon zu erholen).

Beide waren verheiratet und hatten Kinder. Aber, ihre Ehefrauen halten ihnen nicht etwa den Rücken frei, sondern verlangen eben, wie es heute oft der Fall ist, den perfekten Vater.

Was ich interessant fand war, dass diese Frau hier eine ganz andere Einstellung hatte und anmerkte und kritisierte (!!!), dass eben die Frauen heute so einen enormen Anspruch haben. Und dass das die Männer zum Teil einfach nicht mehr erfüllen können. Sie hat damals ihren Mann noch fleissig bekocht und gesagt, es war eben so und schlimm wars auch nicht. Die wollte das sogar, als ihr Mann sagte nach der Wende, lass es sein, wir nehmen da so Fertigkram. Wollte die nicht.

Sie hat es auch bedauert, dass eben heutzutage alle so weit weg wohnen und man zu den Enkeln und Urenkeln kaum noch Kontakt hätte.

Wenn die dann mal zu Besuch waren mit ihren Frauen und Kindern, dann musste sie sich als erfahrene weise Frau (ist sie wirklich!) oft selber verbieten, da mal kritisch nachzuhaken. Anscheinend sind die Männer da heute sehr stark unter Druck und leiden da auch massiv drunter. Die Frauen scheinen da aber relativ wenig empfänglich zu sein für dieses Leiden, sondern haben eben enorme Ansprüche mittlerweile an die Männer.

Und das bringt mich zu der Frage, was ist da los, dass diese ICH-Bezogenheit so weit verbreitet ist.

Und offensichtlich liegt das am Kapitalismus. Dieses unser System macht in der Masse narzisstisch-gestörte Menschen.

Der Hans Joachim Maaz, auf den ich hier schon oft verlinkte, hat das sogar soweit zugespitzt, dass wir in einer narzisstisch-normopathischen Gesellschaft angekommen sind. Und es eben nicht mehr auffällt, weil eben ALLE diesen Dachschaden haben. Und gestern wurde diese Aussage vom Maaz zumindest ansatzweise bestätigt (die Stichprobenmenge ist ja eher gering, aber immerhin):

Nach einer Untersuchung sind Menschen, die vor dem Mauerfall im Westen geboren wurden und zur Schule gingen, narzisstischer als Ostdeutsche.

www.heise.de/tp/features/Pandemie-des-Narzissmus-im-Westen-3952431.html

Da war ich erstmal baff, bestätigt es doch auch die Aussagen vom Maaz.

Zwischen 1949 und 1989/1990 habe in Westdeutschland eine eher individualistische und in Ostdeutschland eine kollektivistische Kultur geherrscht.

(...)

Untersucht wurde bei Ost- und Westdeutschen, wie sich deren Narzissmus und Selbstwertgefühl unterscheiden. Dazu beantworteten 1025 Deutsche (343 im Osten und 682 im Westen geboren) im Alter von 18-83 Jahren, die über Online-Anzeigen gefunden wurden, mehrere psychologische Tests. Mit 69 Prozent sind es überwiegend Frauen gewesen.

(...)

Wie erwartet wiesen die Westdeutschen nach den Tests eine höhere Narzissmus-Ausprägung als die Ostdeutschen auf, die vor 1989/1990 zur Schule gegangen sind.

Diese Unterschiede in der Mentalität sind mir schon 1990 aufgefallen, als ich das erste Mal in Düsseldorf meine Oma besuchte. In der Kneipe haben die irgendwie alle geprahlt und es ging irgendwie nur um Kohle. Und jeder hat sich so aufgeplustert. Jeder wollte irgendwie was darstellen. Oder musste vielleicht auch...

In der westdeutschen, kapitalistisch geprägten Kultur ist besonders der grandiose Narzissmus mit dem Hang zur Selbstüberschätzung stärker vorhanden. Bei den Menschen, die in der DDR geboren wurden und dort aufwuchsen, ist hingegen das Selbstwertgefühl stärker als bei den Westdeutschen.

Also ich will hier keine Lanze für den Osten brechen. So toll war das hier auch nicht, aber die Gemeinschaft hilft eben auch, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Man wusste wer man ist, wo man herkommt, was man kann und nicht kann, hat sich mit anderen mal geprügelt oder beim Fussball gemessen, aber es gab keinen Zwang zur Selbstdarstellung. Ganz im Gegenteil. Je ehrlicher und authentischer, desto besser.

Nach der Wende war ich viel in Düsseldorf und mir ist aufgefallen, dass die Jugendlichen, die ich dort traf (es waren viele und ich war auch mit denen zweimal im Urlaub, was ok war) immer irgendwie unauthentisch wirkten. So als ob sie nicht wussten, wer sie sind. Und immer versuchten, irgendwie cool zu wirken, was soweit ging, dass die sogar irgendwie so eine Kunstsprache hatten. So ein künstlich wirkender Singsang "Hey Alter, was geht!" und dabei komisch mit dem Kopf rumrollten und mit den Armen fuchtelten. Das war wie eine Art Maske.

Man hat da einfach gespürt, dass die nicht sie selbst waren. Einsamer auch. Was logisch ist in einer Gesellschaft, die auf Wettbewerb und Ellenbogen aufbaut.

Für mich war das völlig fremd sich zu verstellen. Wieso auch? Man ist wie man ist und fertig. Und wenn man tagein tagaus mit seinen Kumpels zusammen ist, ohne dass da eine großartige Konkurrenz herrscht, dann fallen eh alle Masken. Wir hatten hier im Dorf auch welche, da dachten die Eltern, sie wären was besseres. Die Kids waren dann auch so ein bisschen so drauf, aber das hat nie lange gehalten. Mit Witz und treffendem Spott wurde da so manche Illusion geknackt. Sie waren eben schlussendlich nichts besonderes. Jedenfalls nicht mehr als andere.

Und so kam es, dass ein westdeutscher Studienkollege, der auch in Österreich in der Firma arbeitete, mal bei einer großen (größenwahnsinnigen!!!) Firmenfeier sagte: Matthias, bei dir merkt man richtig, dass du dich nie verstellst. Und seine Freundin (aus Dresden): Nu! Der iss, wie er iss...

Authentizität war wichtig. Nicht der schöne Schein. Das Vorgauckeln von etwas, das nicht da war, brachte einfach keinen Vorteil.  Fähigkeiten waren anerkannt. Beim Fussball, beim Angeln, beim Budebauen und beim Feuer machen. Ehrliche Beziehungen und echte Freundschaften wurden eben höher eingeschätzt bei uns Kindern als irgendwelche materiellen Sachen. Klar, war man neidisch, wenn einer was aus dem Westen hatte, aber oft wurde das geteilt und dann wars OK. Und wenn man dann ehrliches Feedback bekommt, auch mal schmerzliches, dann bildet das eben schon das Selbstwertgefühl.

Was ist aber, wenn man in einer permanenten Leistungs- und Konsumgesellschaft aufwächst? Wo materieller Reichtum eben das Nonplusultra ist? Da muss man sich ja immer irgendwie verkaufen und verstellen und sich darstellen und innerlich fühlt man sich dann eben vielleicht nicht so wertvoll, weil man eben diese ganzen Erfolge nicht erreicht und vor allem: weil man nicht so angenommen wird, wie man wirklich ist!

Das war ja bei uns der Fall. Jeder wurde so genommen, wie er war und fertig. Und mit dem einen konnte man gut und mit dem anderen nicht so gut und damit hatte es sich.

Und heute? Jeder ist ein Superstar! Oder wird mit dem Mem geimpft, dass er es sein könnte. Es kann aber nicht jeder reich und berühmt werden.

Das mag irritieren, da gerne davon ausgegangen wird, dass Menschen, die in einer stärker kollektivistischen Kultur wie in Asien aufwachsen, weniger Selbstwertgefühl zugeschrieben wird.

Bei den Menschen, die 1989 noch nicht geboren waren oder noch nicht auf die Schule gingen, wurden hingegen keine Unterschiede mehr bemerkt. Das würde bedeuten, dass der Kulturbruch rasant vor sich ging und sich der westliche Lebensstil ebenso wie die kapitalistische Wirtschaft schnell durchgesetzt haben ...

Das ging wirklich schnell!

Über Nacht wurde hier ja der Kapitalismus implementiert. Kurioserweise hat der Stasilehrer hier im Ort den ersten Getränkeshop aufgemacht. Der Arsch wollte auch gleich reich werden! :-D

Und so wundert mich das nicht im Geringsten, dass alle, die nach 1989 geboren wurden, hier nun genauso einen narzisstischen Dachschaden haben wie der Rest von Deutschland oder sogar der westlichen Welt. Die sind doch alle plötzlich mit Ellenbogen und Eltern aufgewachsen, die die Kids aufs Gymnasium schicken wollten und die sich gegen die anderen behaupten mussten auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt.

Ruck-Zuck waren die genauso Ich-bezogen wie ihre Westkollegen. Es muss ja auch so sein!

Wie soll es denn anders gehen?

Plötzlich hieß es Konkurrenz, Leistungsdruck, Statussymbole ... das befeuert das "Ich" doch. Wenn man da nicht narzisstisch denkt, geht man ja unter. Da wird die narzisstische Störung ja num Überlebensvorteil.

Etwas, was der Maaz ja auch festgestellt hat: Menschen, denen er heute hilft, eben weil diese Störungen eben auch Probleme machen, bis hin zum Burn-Out, die verlieren den Antrieb, sich hier umbedingt durchsetzten zu wollen und haben echte Nachteile in dieser Gesellschaft. Sehe ich an mir gerade: die Berichte der älteren Dame bezüglich ihrer Enkel hat mich gleich massiv abgetörnt. Da sagt mein Selbstwert auch mal wieder: Nö!

Macht euch das klar: mit einer psychologischen Störung hat man einen Vorteil in dieser Gesellschaft. Oder genau wie es Erich Fromm schon in den 1970ern feststellte: der Gesunde ist der wirklich Kranke und der an der Gesellschaft krank gewordene ist der Gesunde. Der zeigt noch eine gesunde (Abwehr)-Reaktion. Das wirft sofort die Frage auf: wohin soll ein Gesellschaft driften, die sich im "Ich" verloren hat? Wo alle irgendwie denken, sie sind wichtig und ein Superstar?

...möglicherweise treten erst jetzt die traumatischen Nachwirkungen der plötzlichen Veränderung auch politisch ins Bewusstsein. Am auffälligsten waren die Unterschiede in der Generation, die beim Mauerfall 6-18 Jahre alt waren.

Ich war 15, als die Mauer fiel. Bin also mitten drin in dieser Gruppe.

Bei denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre und älter waren, sind die Unterschiede weniger ausgeprägt und nur beim "normalen" bzw. unterschwelligen Narzissmus zu finden. "Insgesamt sprechen die Ergebnisse der Untersuchung dafür, dass gesellschaftliche Faktoren die Ausprägung von Narzissmus und Selbstwert beeinflussen. Westliche Gesellschaften scheinen erhöhte Narzissmus-Werte in der Bevölkerung zu fördern", sagt Prof. Dr. Stefan Röpke.

Es ist wahrscheinlich auch meine Generation, die da gerade massiv die AFD wählt, weil die sagen: Horcht mal Freunde, so geht das aber nicht!

Und das hat eben auch wirklich was mit Selbstwertgefühl zu tun.

Ein Mensch mit einem gesundem Selbstwertgefühl weiß eben auch, was er will. Und auch was er nicht will! Und auch was er kann und was er NICHT kann. Und Menschen mit gesundem Selbstwertgefühl können die Lage klarer einschätzen. (Ich weiss, das ich nicht zu DSDS gehen brauch!). Und zwar unabhängig von der Meinung Dritter. Es muss mir nicht erst Dieter Bohlen sagen, dass ich nicht singen kann.

Aber wenn dann plötzlich so politisch verordnet die Grenzen aufgemacht und 1,5 Millionen Migranten ins Land strömen, wenn das dann plötzlich bejubelt und gefeiert wird, die Neuen dann aber in weiterer Folge auch Probleme verursachen, dann sagt man eben: Also horcht mal Freunde, das will ich aber so nicht!

Es ist dann natürlich auch vollkommen verständlich (und über alle Maßen beängstigend!), dass Menschen mit einer "Ich"-Störung und einem geringerem Selbstwertgefühl tatsächlich plötzlich einen "neuen deutschen Größenwahn" (Maaz) an den Tag legen ("Wir schaffen das!"). Das ist so ein bisschen das politische Deutschland sucht den Superstar und jeder denkt, er hat das Zeug, da zu gewinnen, auch wenn da Null Talent vorhanden ist. Aber man GLAUBT ja, man ist was besonderes, ein Star. Oder im Fall der Deutschen, dass man nun besonders gut und humanistisch ist. Der Superstar der Humanisten quasi.

Und diese Illusionen sind eben weit verbreitet und immernoch glaubt die Mehrheit bis hoch in die Regierung, dass sie Starpotential haben. Kommt dann berechtigte Kritik, ist das übersteigerte "Ich" massiv gekränkt und wird wild. Ruck Zuck ist dann alles Nazi. So wie Dieter Bohlen das Arschloch ist, der eben einem vollkommen talentfreien Jundspund genau das sagt.

Da weiss man jetzt aber auch, wohin die Reise geht!

Wenn eine ganze Gesellschaft normopathisch geworden ist, sich im Konsum unersättlich und auf anderen Gebieten fast größenwahnsinnig verhält und gleichzeitig berechtigte Kritik (ich spreche hier nicht von echten Nazipöbeleien und dergleichen) sofort als massiver Angriff auf dieses überhöhte "Ich" gewertet wird, na dann gute Nacht!

Und genau das sehen wir ja nun auch: zunehmende Zensur, noch mehr Migranten (= noch mehr Größenwahn - wir sind noch nciht gut genug!!), Verkennung der Lage ("Wir schaffen das!").

Am Ende steht dann "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus!!".

Nur muss man denen dann sagen: Du bist kein Star! Und du warst auch nie einer. Das war alles nur pure Illusion und Selbstüberschätzung. Und deswegen sitzt du nun ganz berechtigt im Schlamm und musst irgendwelche Ekelsachen essen. 

Nur: wenn das irgendwo bei RTL läuft, mag das ja alles noch irgendwie lustig sein. Aber wenn sich dieser Dachschaden bei einem Großteil der Politiker UND der Bevölkerung zeigt, dann wird es beängstigend!

Dann sitzen wir am Ende alle irgendwo in der Wallachai und müssen es ausbaden!

In an insane world, a sane men appears to be insane!

(Golik in Alien 3)

Meiner Generation aus dem Osten ist anscheinend wirklich die undankbare Aufgabe zugefallen, da eine Gegenbewegung zu bilden. Aber machen wir uns nichts vor: der Narzisst will davon nichts hören. Schließlich isser ein Superstar und kann und schafft auch alles.

Oh weh.

Oh weh.

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